Dienstag, 7. Juni 2016

{Sachbuch - Geschichte - Nazizeit} Aufarbeitung ist gut

Hallo Leute!

Aufarbeitung der Nazizeit ist gut - gerade in unserer heutigen Zeit, wo rechte Kräfte wieder an Stärke gewinnen. Ich werde wohl zur letzten Generation gehören, die sich als Jugendliche bzw. Erwachsene persönlich mit Tätern und Opfern auseinandersetzen kann. Auf Beides wurde sowohl in der Schule als auch in meinem persönlichen Leben sehr viel Wert gelegt.

Meine Großeltern sind alle 4 aus ihrer Heimat (Sudetenland, Mähren und Breßlau) vertrieben worden und sind alle völlig unterschiedlich mit den Kriegsgeschehnissen umgegangen - eine Oma hat geschwiegen, die andere Oma war damals noch sehr jung und hat mir kürzlich erst erzählt, dass von einem Russen auf sie geschossen wurde, sie konnte sich aber noch in ein hohes Feld retten.

Alexandra Senffts Großvater war noch tiefer verstrickt. Er war damals für die SA in Bratislava stationiert und unterschrieb dort die Deportationsbefehle, weshalb er kurz nach dem Krieg hingerichtet wurde. Sie analysiert daher die Auswirkungen auf die heutige Generation.


Der lange Schatten der Täter
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Daten
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Autorin: Alexandra Senfft
Verlag: piper
ISBN: 349205739X
Preis: 22€
Gebundene Ausgabe, 352 Seiten


Inhalt
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Alexandra Senfft ist die Enkeltochter von Hanns Ludin, der 1947 als Kriegsverbrecher in Bratislava hingerichtet wurde. Er war SA-Obergruppenführer und an den Deportationen in der Slowakei beteiligt. Ihre persönliche Geschichte nimmt Alexandra Senfft (ehemalige Nahostreferentin bei den Grünen) zum Anlass für die Aufarbeitung der persönlichen Schicksale.

Aufhänger ist der Prozess um den Prozess um Oskar Gröning in Lüneburg. Der SS-Unterscharführer war 1942-44 in Auschwitz tätig und angeklagt, am Mord von 300000 Juden beteiligt gewesen zu sein. 2015 stand daher der 94jährige vor Gericht und Alexandra Senfft beobachtete das Verfahren.

In ihrem Buch beschäftigt sich Senfft mit den unbequemen Seiten der Aufarbeitung, die in den ersten Jahren nach dem Krieg quasi nicht existent war - sie war geprägt von Schweigen und vom "Schuldigfühlen" der Täter, das dadurch teils auf die Familien übertragen wurde. Das ging so weit, dass die Täter zu Opfern verklärt wurden und der Erwin ja nur dazu gezwungen war, zum Massenmörder zu werden, weil er sonst selbst ins Gas geschickt wurde.

Sie spricht mit Opfern wie mit Tätern und reist damit durch die Erinnerung, die sie als einen Auftrag für alle Generationen sieht.


Fazit
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Nun, die Aufarbeitung der persönlichen Geschichte ist selbstverständlich sehr wichtig. Mein Opa hat mir zum Beispiel immer nur die Geschichten aus seiner Heimat erzählt, nie aber was er genau im Krieg gemacht hat. Immer wenn ich mir Ausstellungen zu irgendwelchen KZ-Verbrechen oder anderen Massakern (z.B. in Kalavrita in Griechenland) anschaue, befürchte ich ein bisschen, ihn auf den Bildern wiederzufinden - das ist bisher aber glücklicherweise nicht passiert.

Der andere Opa (er war 1945 17 Jahre alt) war erst in den letzten Kriegstagen im Einsatz und erlebte die Bombennächte in Hamburg - er starb allerdings, als ich 13 war, damals konnte und wollte ich mich noch nicht so damit beschäftigen.

Sicherlich ist die Aufarbeitung wahnsinnig wichtig, vor allem weil es in der Verantwortung der aktuellen Generation steht, dass nie wieder eine Diktatur so viel Macht auf die Menschen hat, sie dazu zu bringen, ohne Bedenken Menschen in den Tod zu schicken. Auch die Prozesse wie die gegen Demjanjuk und Gröning in den letzten Tagen waren ein wichtiges Signal, dass ein solcher Mord nicht verjährt. Dabei ging es sicherlich nicht darum, die senilen Senioren für den Rest ihres Lebens einzusperren, sondern ein Signal an die kommenden Generationen zu senden, dass auch 70 Jahre nach Kriegsende die Verbrechen von damals geahndet und die Opfer gehört werden.

Eine Hypothese stört mich an dem Buch allerdings wahnsinnig. So schreibt Senfft von einer angeblichen epigenetischen Vererbung des Schreckens, das die KZ Überlebenden erlebt haben an die folgenden Generationen - die angebliche Studie dazu wird nicht zitiert. Nun bin ich aber studierte Molekularbiologin, mein Mann lehrt Molekularbiologie an der Wiener Uni und wir haben ausführlich diskutiert, dass eine solche Vererbung reiner Schwachsinn ist. Sicherlich wird das durch Erzählungen im Bewusstsein der folgenden Generationen in den Köpfen verankert, aber sicherlich nicht Vererbungsbiologisch, sondern viel mehr Neurologisch durch das Erzählen oder eben durch das Nichterzählen.

Eine Vererbung weckt wieder Assoziationen mit dem Begriff "Erbschuld", mit dem man ja so oft im Ausland konfrontiert wird. Für mich ist eine Erbschuld aber kompletter Humbug. Ich kann nichts dafür, was rund 40 Jahre vor meiner Geburt passiert ist. Allerdings liegt es in meiner Verantwortung, dass es definitiv nicht wieder passiert. Den Menschen etwas von ererbter Schuld einzureden, ist da wenig hilfreich, eine gelungene Aufarbeitung dagegen ist auch für die nächsten Generationen wahnsinnig wichtig, um den Frieden in Europa und der Welt zu bewahren.

Von mir gibt es 3 Sterne.

In diesem Sinne

Eure Anke


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